Elettra de Salvo
Out of Order
Wenn die Löcher im Körper 9 oder 10 sind.
"Es gibt Löcher, die uns erfüllen." (Jean-Pierre Duprey)
Konzeption:
Der existentielle Körper Thema dieser performativen Installation ist der weibliche Körper, und insbesondere, die weiblichen Geschlechtsteile.
Ausgangspunkt ist hier das grausame Ritual der weiblichen Genitalverstümmelung bis hin zur Infibulation (das Zunähen der Scheidenöffnung), das an Mädchen und Frauen in Afrika (aber auch in Europa!) vorgenommen wird.
Diese Arbeit möchte über die politisch-soziale Brisanz hinaus die Zuschauer, und selbstverständlich auch die teilnehmenden Performerinnen, mit dem anderen Gesicht des menschlichen Körpers konfrontieren.
Vor allem beim weiblichen Körper ist die Korrespondenz zwischen Gesicht und Genitalien offensichtlich.
Dazu Gerburg Treusch-Dieter, ausgehend von einer Beobachtung Leonardo da Vincis: "Das Gesicht als Teil des Kopfes, soll das Geschlecht ersetzen, es soll - als "vergeistigtes" - seine vollständige Metapher sein.
Alle Öffnungen des Gesichts, nicht nur die Augen und der Mund, sondern auch die lüsternen Nüstern der Nase und das Ohr sind weiblich konnotiert.
Ihre Löcher verhalten sich metonymisch zum weiblichen Loch, als ob es in ihnen ununterbrochen wiederkehrt.
Auf der Ebene des Realen wird dem Symbolischen immer etwas am Gesicht entgehen.
Seine weiblichen Geschlechts-Löcher sind im Endeffekt nicht zu schließen.
Das Geschlecht, das weibliche Geschlecht, das nicht sichtbar werden darf, ist in der Tat die Kehrseite des Gesichts.
Gleichzeitig entsteht eine Trennung Gesicht-Geschlecht, die der Geist-Körper-Trennung entspricht.
In der Geschichte der Kultur waren es unter anderem die Surrealisten, die vor allem den weiblichen Körper immer wieder geteilt und fragmentarisch zitiert haben.
Sie haben ihn sogar anagrammatisch zerstückelt und oft auf die Geschlechtsmerkmale beschränkt.
In der Realität des 21. Jahrhunderts wird trotz allgemeiner sexueller Befreiung die weibliche Lust und somit auch der Körper immer noch reglementiert, sogar beschnitten, abgeschnitten, unterbunden.
Diese performative Installation zeigt daher den weiblichen Körper auch halbiert.
Sie verdeckt das eine Gesicht, um das andere - das bedrohliche, das tabuisierte - Gesicht auszustellen.
Somit wird der sexualisierte Körper zum existentiellen Körper.
Umsetzung der Performance:
Ca. 40 Frauen belegen den Umfang eines leeren, mittelgroßen Raumes, schulterbreit voneinander entfernt und "stellen" sich somit dem in diesem Raum verweilenden Publikum.
Gesicht und Oberkörper sind mit einem schwarzen Tuch bis unter den Nabel bedeckt.
Geschlecht und Beine bleiben nackt.
In dieser 30-minütigen Performance, die mehrmals an einem Abend wiederholt werden kann, werden die Frauen nichts anderes tun, als stehen, dasein, "geschlossene Wände" herzustellen, und zwar so, dass auch der Zugang zum Raum nur durch das zur Seite schieben zweier Schultern möglich ist.
Die Zuschauer können durch diese "Tür" den Raum jederzeit betreten und verlassen.
Allerdings wird dafür gesorgt, dass der meditative Charakter der Performance durch striktes Schweigen eingehalten wird.
Die Besonderheit dieser Installation ist, dass die Performerinnen (mind. 10 - max. 40, je nach Raumgröße) in der jeweiligen Stadt gesucht werden.
Es sollen vorzugsweise Frauen jeder Herkunft, jedes Alters, jedes Berufes sein, denen ein zwei- bis dreitägiger Workshop zur Vorbereitung kostenlos angeboten wird.
In diesem praktischen Seminar werden die Teilnehmerinnen durch spezielle Übungen nehmen sie den Unterschied zwischen sexualisiertem und existentiellen Körper, sexualisierter und existentieller Nacktheit wahr.
Durch die Arbeit an den Innenräumen des Körpers und vor allem an deren Öffnungen erfahren sie, dass es ein Leben und eine Funktion der Körperlöcher gibt über die Sexualität hinaus: wir bewegen uns, wir atmen durch und mit Hilfe der Löcher.
Sie atmen uns, sie bewegen uns, gerade wenn der Körper stillsteht.
Umsetzung der Videoinstallation:
Die Performance wird in ihrer gesamten Länge Wand für Wand mit Video aufgezeichnet.
In den vorstellungsfreien Zeiten wird im selben Raum mit entsprechender Technik (vier Projektoren, vier Beamer etc.) das Aufgezeichnete an den leeren Wänden non-stop projiziert.
Technische Anforderungen:
Ein Raum für den Workshop, wenn möglich, derselbe, in dem auch die Installation stattfindet.
Für die Installation: ein Raum, den man abdunkeln kann.
Licht: ist vom jeweiligen Raum abhängig aber minimal.
Sie können jetzt eigentlich eintreten, sich umschauen.
Sie könnten auch gleich wieder rausgehen - oder die Augen zumachen und sich direkt nach hinten in die Bar begeben.
Sie könnten aber auch drin bleiben, verweilen.
Vielleicht einige Minuten - vielleicht eine halbe Stunde lang.
Eine halbe Stunde wird nichts passieren.
Vermutlich.
Vielleicht wird 30 Minuten lang nichts passieren.
Wieviel Minuten hätten Sie dann für jede Frau?
Das ist nicht viel Zeit.
Sie sehen nichts.
"Sie wollen alles von einer Frau sehen.
Soviel wie nur möglich.
Sie merken nicht, daß Sie dazu außerstande sind." (Marguerite Duras)
Sie sehen nichts.
Sie könnten viel von einer Frau sehen.
Sie könnten eine Frau auch einatmen.
Sie könnten sie sogar riechen.
Sie riecht, im Raum, die Frau.
Sie könnten jetzt eigentlich das Bedürfnis verspüren zu reden.
Ihre Begleiterin, ihrem Begleiter etwas zu dem sagen, was Sie sehen.
Sie könnten aber auch das Bedürfnis verspüren, loszuschreien, einfach losschreien.
Weit und hoch und tief in den Raum schreien. Sie könnten aber auch schweigen.
Ganz einfach schweigen.